Lettland 2006

Mein Praktikum in Liepaja, Lettland, von August bis Oktober 2006

Montag, September 18, 2006

Riga Nightlife!

Seit langem gibt es endlich noch mal etwas zu berichten, und dann gleich eine ganze Menge. Die letzten beiden Wochen waren im Grunde eher langweilig, ich habe immer bis abends gearbeitet, und da ich von der Arbeit bis in meine Absteige immer eine Stunde brauche, habe ich auch nicht wirklich viel unternommen. Außer ein bisschen am Strand zu spazieren, ein paar Sonnenuntergänge anzuschauen und hier und dort ein Bierchen zu trinken habe ich tatsächlich nichts gemacht (man sehe nebenstehendes Bild [anklicken zum vergrößern], das zeigt wie typisch lettisch dieser Ort doch ist, in dem ich wohne…).

Viele gelesen habe ich allerdings, sehr empfehlenswert: Der Schwarm von Frank Schätzing. Man kann gar nicht mehr aufhören. Und gerade bin ich fertig mit Bridget Jones's Diary, was ich mir auf vielfache Empfehlung weiblicher Freunde gekauft hatte. Sehr sehr amüsant, was euch Frauen so tagtäglich alles beschäftigt ;-)

Nun, die allgemeine abendlich Untätigkeit sollte sich am vergangenen Wochenende ändern, denn Christoph kam aus Liepaja rüber und wir haben uns abends in der Stadt getroffen, mit dem festen Ziel, derbe einen drauf zu machen, weil es das letzte Wochenende ist, an dem ich in Riga bin. Wohlwissend, dass der letzte Zug nach Hause um 00:30 und der erste um 06:00 abfährt, stellten wir uns auf eine lange Nacht ein - kein Problem für uns. Gesagt getan … es folgt eine Chronik des Schreckens:

Das erste Bier hatte Christoph direkt schon im Rucksack dabei, das mussten wir auch sofort trinken, weil er wollte den Rucksack über Nacht bei der Gepäckaufbewahrung lassen - und dafür musste der so leicht wie möglich sein. Wir wollen ja kein Geld verschwenden (Haha). Danach gabs ne leckere Pizza Weiß-net-mehr-genau-welche bei Cili Pica. Beim folgenden ziellosen Wandeln durch die Altstadt (ich hatte natürlich eine Liste guter Clubs von meinen Kolleginnen angefordert, auch erhalten, aber leider zuhause vergessen) wurden wir davon überrascht, wie sehr Riga doch von der Touristenabzocke lebt. An jeder Ecke stand ein Kerl, der einem "die beste Bar" oder "den heißesten Striptease-Club" empfahl. Völlig immun gegen solcherlei Köderei haben wir uns die Etablissements zwar immer brav zeigen lassen, dann aber eingewandt, dass es nicht das sei, was wir suchen. Ha! Wir sind ja so erfahren und schlau, mit uns klappt so was halt nicht. Schließlich zog eine Bar an der Hauptstraße unsere Aufmerksamkeit auf sich, bzw. die leicht bekleidete Tänzerin, die auf der Theke tanzte. Da wir ohnehin sehr durstig waren, hatten wir einen guten Vorwand um reinzugehen. Und dadrin war das dann noch krasser - da waren offensichtlich Mädels (sog. consumption girls, wie ich erfahren habe), deren einzige Aufgabe es ist, besoffene Touris, hauptsächlich Engländer und Iren, auf die Tanzfläche zu ködern, sie heiß zu machen, und sich dann völlig überteuerte Drinks ausgeben zu lassen. Oder für entsprechende Bezahlen mit ihnen in ein Hinterzimmer zu gehen. Das mit der Bezahlung wird natürlich erst bekannt gegeben, wenn die Zielperson schon so angeheitert und geil ist, dass sie das Wort "Nein" aus dem Wortschatz verstoßen hat. Und die Mädels lassen sich echt alles gefallen, so krass. Die ekelhaften besoffenen Iren haben denen an den Hintern und an die Brüste gefasst, völlig ohne Hemmungen oder Skrupel. Die haben dann immer etwas gespielt empört reagiert, aber sind nach paar Sekunden doch wieder zu dem Kerl hin. Wir, unseren Augen nicht trauend, waren natürlich auch dagegen immun, haben unser Bierchen in der Ecke geschlürft und immer nett zurückgegrinst, wenn sie uns mit süßem Lächeln und dezenter seitlicher Kopfbewegung auf die Tanzfläche kriegen wollten - man, die eine war schon süß :-) Aber nein, wir sind ja erfahren und schlau und lassen uns nicht ausnehmen.

Irgendwann wurds uns dann doch zu bunt, und wir haben das Weite (/ eine andere Bar) gesucht. Nach einer Stippvisite im völlig überfüllten Casablanca (sehr empfehlenswert für alle, die mal nach Riga kommen - gutes Essen, für Riga sehr vernünftige Preise, kein Eintritt - leider viel zu kleiner Tanzraum; ich fühlte mich spontan an den Koblenzer Circus Maximus erinnert) suchten wir dann doch was richtiges, einen echten Club wo was los ist. Es waren mittlerweile bereits 1 oder so, es galt noch viele Stunden zu überbrücken. Inzwischen längst nicht mehr nüchtern, sank nicht nur unsere Urteilskraft, sondern auch unser Widerstand.

Letztlich hat es einer von den Typen geschafft, uns in einen waschechten Striptease-Club zu locken, mit folgendem Versprechen: 10 Lats Eintritt (15 Euro), dafür kriegt jeder 3 Bier frei! Alle anderen Angebote vorher waren schlechter, also sagten wir uns, dass 3 Bier ohnehin nicht viel billiger sind - versuchen wirs doch einfach mal. Tjahaaa, und dann erwischte es uns ganz eiskalt. Wir hatten das Kleingedruckte natürlich nicht gelesen, bzw. der Typ hatte es eben nicht gesagt, denn das zweite Freibier kriegt man erst, wenn man einem von den netten Mädels, die sich sofort zu einem gesetzt haben, einen Drink ausgibt. So ganz umsonst ist das Bier dann halt nicht, vor allem, wenn der billigste Drink, den die Mädels trinken wollten, 27 Lats kostet. Das lief alles so krass ab: Erst kommt man rein, kriegt nen schönen Platz nahe der Bühne mit der Stange in der Mitte zugewiesen, und bekommt ohne zu fragen sofort sein erstes Bier. Wenn das so halb leer ist, kommt die gleiche Anzahl Mädels, wie Kerle am Tisch sitzen, und fangen an zu plaudern. Über dies und das, Where are you from? Ah, Germany, nice, what are you doing here? Working? Wow, aha, hmhm, blablabla. Und dann (nachdem sie vorher paar Mal vorbeigelaufen war und hoffnungsvoll geschaut hat) steht plötzlich die Kellnerin vor einem und fragt, ob man dem netten Mädel denn nicht einen Drink spendieren will. Da gingen dann unsere Alarmglocken an. So ein bisschen waren sie die ganze Zeit schon im Hintergrund am läuten, aber durch die zugegeben nette und gar nicht so dumme, wie man annehmen sollte, Gesellschaft und den alkoholischen Nebel waren die Alarmglocken eben nicht zu hören gewesen.

Nun, das kam natürlich gar nicht in Frage, dass wir denen einen ausgeben, wenn wir da so dreist zu aufgefordert werden. Erst gar nicht bei den Preisen, wo simma denn? Das beste war die Flasche Champagner für sage und schreibe 660 Lats (1000 Euro[!!!]). Nun, wir gaben der Kellnerin zu verstehen, dass wir nix für die Mädels bestellen wollen, aber doch gerne unsere nächsten beiden Freibiere hätten. Die nachfolgende Diskussion dauerte etwa ne halbe Stunde, die Kellnerin wurde immer ungehaltener, wir natürlich immer noch freundlich. Wir wollten schließlich unser Bier. Sie wollte es uns erst geben wenn wir einen Drink gekauft haben. Letztlich gab sie entnervt auf, wir auch - keiner kriegte was zu trinken. Das Mädel blieb noch ein bisschen sitzen, sie war echt nett, meinte auch, das sei eben "the way it works here". Sie sagte außerdem, dass sie das mit dem Tanzen auch nicht mache, sie würde nur den Kunden das Geld aus der Tasche ziehen.

Schließlich haben sie alle Geschütze aufgefahren: Eine mit einem Hauch von Nichts bekleidete Blondine tanze an der Stange rum, entledigte sich auch noch des meisten dieses Hauchs und sprang erst dem Christoph und dann mir aufn Schoß und hampelte da rum und brachte unsere wohlgeformten Frisuren durcheinander mit ihren … Händen. Dann sprang sie wieder runter und zog am Rest ihres Hauchs und fragte "Maybe something for me?". Als wir auch da verneinten, kam der letzte Versuch: das Crazy Menu (siehe Bild). Wir sahen es uns an, sahen uns an, und haben losgelacht wie blöde. Am geilsten ist echt "Song order: 7 Lats" und "Waitress/Barmen/Manager in the private room 15 minutes". Wir haben uns überlegt, wie sie einen da wohl wieder abzocken; wahrscheinlich sitzt das Mädel 15 Minuten aufm Stuhl und geht dann wieder raus - das waren dann 75 Lats. Genauso wie 3 Freibier, die man erst kriegt, wenn man was andres kauft. Wahnsinn, Waaaahnsinn! Und wir so erfahrenen und schlauen Baltikum-Kenner sind drauf reingefallen.

Nun, nachdem wir uns beruhigt und fertig gelacht hatten, sagte die Kellnerin doch recht bestimmt, dass es besser sei, wenn wir jetzt gingen. Haben wir auch dann gemacht, nach dem letzten Versuch, noch ein Bier zu bekommen. Inzwischen hatte auch unser Mädel, dass sich lange und tapfer mit uns unterhalten hatte und das ja dieses an-der-Stange-Tanzen nicht mache, ziemlich unmotiviert getanzt. Lügnerin! Immerhin habe ich es geschafft, das Crazy Menu zu entwenden, als Souvenir. Harrrr. Denen haben wirs gezeigt.

Um 10 Lats und viele Kalorien (das Lachen hat das eine kleine Bier locker wieder rausgeholt) ärmer, sind wir in den Club Nautilus. Musik war zu elektronisch, das einzige Bier war Corona für 4 Lats/Flasche, und um in den Genuss der sog. VIP-Lounge zu kommen, musste man noch mal 5 Lats zahlen. Ohnehin schon arm, gingen wir erhobenen Hauptes wieder heraus und fanden endlich einen der Geheimtipps meiner Kolleginnen, das Pulkvedim Neviens Neraksta, was übersetzt soviel heißt wie "Niemand schreibt dem Oberst". Komischer Name, aber sehr geiler Schuppen mit für unsere Gesundheit viel zu niedrigen Bierpreisen. Der locker 2 Meter große DJ hat ganz easy ein paar House-Sachen aufgelegt, die Tanzfläche war klein, die Mädels ansehnlich - also blieben wir bis zum Ende. Es wurde schon wieder hell als wir die Straße betraten. Unsere letzte Station war das Hostel "Friendly Fun Frank's Backpackers", wo Christoph den Besitzer Frank ganz gut kennt. Da haben wir uns ein Absackerbierchen gegönnt, bisschen Tischtennis im Fernsehen geschaut, und ich habe den größten Teil meiner Konzentration darauf verwandt, mich an der Theke festzuhalten.

Den Zug um 8 Uhr haben wir gerade so erwischt, ich habe pflichtbewusst meinen Handy-Wecker gestellt, weil wir befürchteten einzupennen. Klar, ist auch prompt passiert. Komischerweise habe ich den Handy-Alarm nicht gehört, aber die nette Schaffnerin weckte uns und wies uns darauf hin, dass hier unsere Station sei. Gott sei Dank, wir wären sonst wo gelandet. Nun, und bei der allgemeinen Bestandsaufnahme bevor wir uns hinlegten fehlte mein Handy. Es muss irgendwie im Zug verschwunden sein. Keine Ahnung wie, sehr ärgerlich. Wir vermuten, dass ich es nur in der Hand hielt oder neben mir aufm Sitz liegen hatte, und dass es irgendeinem der wenigen Zuginsassen sehr gefallen hat. Das erklärt auch warum ich den sonst wirklich sehr lauten Wecker nicht gehört habe. Grmpf. Naja, war eh ein altes Ding mit Riss im Display, und wenn ich wieder in Deutschland bin gibt’s eh ein Neues mit nem Vertrag, aber was mache ich bis dahin.

Ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, für die nächsten fünf Wochen kein Handy zu besitzen - wie entspannend wir das sein. Oder wie schwierig? Ich bin entschlossen, den Versuch zu wagen, im übertechnisierten Heute, wo jeder von einem erwartet, ständig erreichbar zu sein, ohne Mobiltelefon durch die Welt zu gehen. Hilfe!


Für die unglaubliche Geduld, die ihr für das Lesen dieses Eintrags brauchtet, gibt’s hier zur Belohnung ein Bild (von ungefähr 100) mit einem Sonnenuntergang über der Bucht vor Jurmala.

Zum Schluss noch ein witziger Fakt:

Ich hörte, Estland ist weltweit das Land mit der zweithöchsten Hummer-Dichte (das Auto, nicht das Tier), nach den USA. Und wenn ich mich in Riga so umschaue, dann muss Lettland sofort auf Platz 3 folgen.

Viele Grüße in alle Welt!

1 Comments:

  • At 2:39 PM, Anonymous Anonym said…

    THOMAS! Ich bin schockiert!! DU LIEST Bridget Jones?? ;o)
    Schoen von Dir zu lesen, ich hab im Moment drei Blogs die ich immer auf Neuigkeiten abklappere, und freu mich immer wie ein kleines Kind, wenn ein neuer Eintrag da ist, und dann auch noch so ein lange - herrlich. Oh, und Glueckwunsch im Uebrigen zu Euer Kenntnis des Balktikums und der nahezu erfolgreichen Abwehr aller dilletantischen Nepper-,Schlepper- und Bauernfaengermethoden *g*
    Zum Thema ohne Handy kann ich nur sagen: Bei meinen Eltern hab ich keinen Empfang, das kommt also einem Dasein ohne Handy gleich. Und es gibt echt Schlimmeres (bloed nur, wenn man Partyeinladungen fuers Wochenende aufs Handy bekommt und die dann montags entdeckt, wenn man wieder Empfang hat...).
    Ganz viele liebe Gruesse in den Hohen Norden,
    Julia

     

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